Bremsanlage entlüften / Bremsfluessigkeit wechseln

Aus W124-Archiv
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Regelmäßiges Wechseln der Bremsflüssigkeit schreibt Mercedes vor, alle zwei Jahre, möglichst im Frühjahr, sollte es vorgenommen werden. In A wird bei der Überprüfung für die Erteilung des "Pickerl" übrigens der Siedepunkt der Bremsflüssigkeit gemessen, liegt er zu niedrig, muß die Flüssigkeit erneuert werden. Vielleicht sollte man dies dem TÜV in D einmal stecken, damit die noch ein paar € abgreifen könenn :->

Doch im Ernst: es gibt gute Gründe, die Bremsflüssigkeit alle zwei Jahre zu wechseln. Bremsflüssigkeit ist hygroskopisch, sie zieht also Wasser an. Durch das Belüftungsloch im Deckel des Vorratsbehälters gelangt schon Luft an die Oberfläche, deshalb sollte es bei Motorwäschen auch abgedeckt werden. Die Feuchtigkeit verteilt sich anschließend gleichmäßig im gesamten System. Nun kann folgendes passieren:

  1. Bei hoher thermischer Belastung der Bremse, z.B. während der berühmten Abfahrt von einem Bergpaß, können die Bremsscheiben rotglühend werden und auch die Bremsflüssigkeit wird entsprechend warm. Das Wasser darin siedet und bildet Dampfblasen, so daß die Bremsflüssigkeit plötzlich kompressibel wird. Das Bremspedal wird weich und sinkt zu Boden, gleichzeitig nimmt die Bremswirkung deutlich ab. Ein sehr unangenehmes Gefühl.
  2. Na schön, sagt sich der Flachlandtiroler, wann fahre ich denn schon mal in die Berge? Aber die Feuchtigkeit in der Bremsflüssigkeit führt zu Korrosion im gesamten Bremssystem (Hauptbremszylinder, ABS-Gerät, Leitungen, Bremssättel) und irgendwann entsteht eine (interne oder externe) Undichtigkeit, da die Gummiabdichtungen kaputtgearbeitet sind. Also ist die Bremswirkung mehr oder weniger weg, das Pedal läßt sich weit durchtreten, aber die Kiste hält nicht an. Auch kein schönes Gefühl.

Der Ausfall der Bremsanlage ist immer eine höchst kritische Situation, da es einen unvorbereitet trifft und man meistens keine Ersatzreaktionen geübt hat. Auch wenn man weiß, daß man das Fahrzeug im Notfall duch beherztes Lenken an den Berghang abbremsen kann - wer übt das schon freiwillig? Wer behält die Nerven, wenn die Beifahrer, die ja so schnell nicht mitbekommen, was gerade passiert, zu kreischen anfangen...

Oftmals sind Blech- oder sogar Personenschäden die Folge solch mangelnder Wartung und das will doch ernsthaft niemand riskieren. Also wird die Bremsflüssigkeit regelmäßig gewechselt und gut.

Hat man die Bremsanlage an irgendeiner Stelle geöffnet, so muß das System entlüftet werden. Dies kommt vom Aufwand her einer Erneuerung der Bremsflüssigkeit gleich, obwohl man eigentlich nicht ganz so viel neue Bremsflüssigkeit benötigt, wie beim Wechseln.

Am einfachsten führt man den Wechsel natürlich in der Werkstatt durch, wo alle Mittel vorhanden und die Arbeitsschritte eingeübt sind. Man nimmt "heute" ein elektrisch betriebenes Entlüftungsgerät, das die neue Bremsflüssigkeit mit ca. 2 bar über den Vorratsbehälter in das System drückt. Der Monteur braucht dann nur noch die Entlüftungsschraube am Bremssattel zu öffnen und die alte Suppe herauslaufen zu lassen. Sehr bequem, sicher und zuverlässig.

Es gibt solche oder ähnliche Entlüftungsgeräte zu kaufen und es gibt Bauanleitungen, wie man sie selbst herstellen kann.

Nach wie vor - und auch bei ABS - funktioniert im W124 jedoch die gute alte Pumpmethode, für die man eine zweite Person benötigt. Eine Gefahr hierbei soll nicht verschwiegen werden: Hat man eine Bremse vor sich, bei der schon sehr lange (über mehrere Jahre) kein Flüssigkeitswechsel gemacht worden ist, läuft man Gefahr, sich die Manschetten im Hauptbremszylinder zu ruinieren, wenn man den Kolben über seine normale Endstellung hinausbewegt.

Grundsätzlich sollte man sich vor Beginn der Arbeiten die Bremssättel ansehen: sind die Entlüfternippel nur noch ein Klumpen Eisenoxid, so werden sie schwerlich zu öffnen sein und eher abreißen. Dann ist meistens der Bremssattel unwiederbringlich hinüber, obwohl natürlich Künstler den Nippel ausbohren und das Gewinde retten können.

Völlig verrostete Gewinde an den Entlüfternippeln sind übrigens ein sicheres Indiz dafür, daß die Bremsflüssigkeit nicht vorschrifts- und turnusmäßig gewechselt wurde. Also versucht man, die Gewinde mit Rostlöser zu erweichen, manchmal hilft die harte Flamme des Autogenschweißgerätes, und kauft ersteinmal vier neue Entlüfternippel, damit man die mühsam geöffneten Klumpen gleich entsorgen kann.

Ich gehe hier absichtlich nicht auf jedes Detail ein, so ganz ohne praktische Erfahrung sollte man nicht an der Bremsanlage arbeiten. Am besten läßt man sich die Zusammenhänge und Arbeitsschritte von jemanden mit Erfahrung zeigen.

Füllt man den Vorratsbehälter für die Bremsflüssigkeit nicht wirklich ganz bis oben auf und versucht dann, den hinteren Bremskreis zu entlüften, pumpt man den Kreis ganz schnell leer und wundert sich, daß keine Flüssigkeit mehr kommt. Der Vorratsbehälter ist einfach dämlich konstruiert.

Der Vorratsraum für den hinteren Bremskreis ist fast nicht zu sehen, wenn man in die Nachfüllöffnung sieht. Um auch diesen zu füllen, muß man den sichtbaren Vorratsraum - der ist für den vorderen Bremskreis - bis kurz unter die Kante auffüllen und dann läuft die Bremsflüssigkeit durch den internen Überlauf auch in den zweiten Vorratsraum. Also schön langsam und vorsichtig gießen, Bremsflüssigkeit ist ein prima Entlackungsmittel!

Um den Füllvorgang beobachten zu können, hilft es, eine Lampe schräg von unten und innen (motorraumseitig) gegen den Vorratsbehälter leuchten zu lassen, so daß man die Flüssigkeitsstände erkennt.

Ein wichtiger Hinweis noch zum Schluß: Bremsflüssigkeit ist giftig! Nicht in den Mund nehmen, Spritzer in die Augen vermeiden. Die alte Bremsflüssigkeit oder der Rest in der neuen Flasche muß bei der örtlichen Müll- oder Giftstoffentsorgung abgegeben werden, nicht in's Abwasser oder die Kanalisation schütten, bitte.

Autor: Christian Martens